Ist es heute schwieriger, Kind zu sein und Erwachsen zu werden? Diese Frage bringt mich seit einigen Tagen ins Grübeln. Ausschlag war unter anderem die Diskussion um die Bikini-Brigde, über die mein Kollege Roger ein paar interessante Gedanken verfasst hat, denen ich zustimme.
Wer mich kennt, weiss, dass ich ja auch erst 23 Jahre alt bin, also selber noch nicht so lange aus dem Schutzalter raus.
Warum ich mir nun aber trotzdem erlaube, einen Beitrag zu dem Thema zu verfassen, ist ganz einfach: Seit gut sechs Jahren bin ich treuer Skilagerleiter und begleite 2 Klassen ins Abschlusslager. In diesen sechs Jahren fiel mir auf, dass die SchülerInnen (zwischen 14 und 17 Jahren) Jahr für Jahr mehr rauchen, mehr Alkohol konsumieren und oft Probleme mit Eltern und Polizei haben. Auf Grund dieser Erfahrungen wage ich zu behaupten, dass die 18-Jährigen heute total anders ticken und leben als ich (Ausnahmen ausgeschlossen).
Doch wie war das damals mit dem Aufwachsen und der Erziehung bei mir?
Ja, auch ich hatte mal ein Kindheit, so ohne Steuererklärung, Verpflichtungen und Twitter, und die war wohl nicht mal der Horror, so wie ich das gerade einschätze. Tagsüber ging es in den Kindergarten oder in die Schule, am Nachmittag wurde auf der Strasse gespielt oder gerauft. Abendessen nahm die ganze Familie zusammen ein, und wenn Klein-Kevin “mal wieder” Blödsinn angestellt hatte, gab es schon mal den Arsch voll … Manche mögen aufschreien und das Jugendamt alarmieren, wenn sie das lesen, doch eigentlich bin ich heute fast ein wenig dankbar für diese Erziehung, sonst würde ich wohl immer noch an Zigaretten hängen und wäre wohl nie mehr in die Schule gegangen. Na ja, ich war eben damals schon der Kevin, und keiner behauptet , ich sei einfach – *lach*.
Mit 12 Jahren bekam ich mein erstes Mobiltelefon, das mit heutigen Smartphones nicht zu vergleichen ist: Mit Guthaben aufladen musste ich es selber, finanziert aus meinem Taschengeld, ein Abo gab es nicht. Den Fernseher durfte wir nach dem Mittagessen kurz einschalten, bevor es an die Hausaufgaben ging, und abends war um 21 Uhr Bettruhe. Was zu den Mahlzeiten auf dem Teller landete, musste zumindest 2- oder 3-Mal probiert werden, wenn es dann wirklich nicht schmeckte, konnte man ein Gericht weglassen – und ass halt dann, was sonst auf dem Tisch stand. Es gab keine Extramenüs oder wöchentliche McDonalds-Besuche.
Als ich mit 13 zum Scheidungskind wurde, veränderte sich die Erziehung etwas – und ich spielte bei Geschenken, Ausgang und Hausaufgaben meine Eltern scharmlos gegen einaner aus. Sorry Mum, sorry Dad! Aber das Resultat kann sich sehen lassen: Heute bin ich ein junger Mann, der bis auf rohe Tomaten praktisch alles isst, selber gut kochen kann und vielleicht ein wenig unter Onlinesucht leidet…*lach*…wobei das viel später als mit den Smartphones anfing.
Wie es meiner Meinung nach heute ablauft …
Ich gebe ja gerne zu dass ich nicht in alle Familien hineinsehe – sicher gibt es Ausnahmen. Aber was ich erlebe, lässt mich staunen:
Kürzlich war ich wieder einmal in Basel in einer Disco – und fühlte mich tatsächlich alt!
Nicht weil ich es vielleicht schon ein wenig bin – nein, weil mich aufgebretzelte Mädchen anmachen, die, wie sich später zeigt, erst 16 sind und gar nicht in diese Disco hätten rein kommen dürfen. Ich gebe ja zu, heilig war auch ich nie, aber zu meiner Zeit (und das klingt jetzt wirklich schon sehr alt!) blieben wir unter uns und haben nicht ältere Typen/Girls angemacht und denen noch was von 18 Jahren vorgegaukelt …
Ich kann mir gut vorstellen, dass die Erziehung heute sicher nicht mehr einfach ist, erst recht, wenn beide Eltern arbeiten wollen oder müssen. Und doch: Wenn ich merke, dass Eltern keine Ahnung haben, wo sich ihre Kinder rumtreiben; wenn es ihnen egal ist, wenn ihre 12-Jährige mit Zigarette rumläuft, wenn jede und jeder ein iPhone oder Ähnliches besitzt, mit einem-XXL-Abo, das entweder die Eltern bezahlen oder wo sogar Schulden auflaufen, bis die Anbieter den Hahn zu sperren, dann mache ich mir schon Gedanken.
Im Skilager merke ich jedes Jahr aufs neue, wie Eltern ihre Kinder verwöhnen, um zu erreichen, dass
a) Scheidungskinder die eine Hälfte der Eltern lieber haben…
b) die Kinder sich nicht peinlich benehmen im Supermarkt oder auch sonst zu Hause keinen Terror machen….
Staunend beobachte ich, wie beim Lunch auf der Piste nicht die Eingeklemmten gegessen werden, sondern stattdessen Pommes bestellt werden, oder wie beim Abendessen die Nase gerümpft wird, weil an einem Gericht Pfeffer dran ist, auf einem anderen ein grünes Peterli gefunden wurde oder man doch immer nur Fleisch ohne Gemüsse isst.
Bei vielen der Kinder zeigt sich, dass deren Eltern keine Zeit haben oder sich diese nicht nehmen, um ein Mittagessen zu kochen. Solche Kinder sind daran gewöhnt, Geld für einen Döner zu bekommen oder irgend ein Fertiggericht in die Mikrowelle zu stecken, das dann häufig vor dem Fehrnseher “genossen” wird, während irgendwelche Gerichtssendungen, Streitereien über Fremdgehen, Schwangerschaft und Drogen laufen. Als ob das noch nicht reichte, werden am Wochenende zudem gefühlte 100 Wiederholungen der strengsten Eltern der Welt ausgestrahlt, damit auch jeder “Goof” sieht, wie man seine Mutter fertig machen kann, obwohl diese sich für ihr Kind schon den Arsch aufreisst … Mein Fazit: Für viele Kinder ist zu viel – alles – selbstverstädlich!
Ist es denn heute schwieriger, Kind zu sein?
Meiner Meinung nach: JA!
Wo früher noch Mami zu Hause mit dem Mittagessen gewartet hat, steht heute Mikrowellen-Food auf dem Tisch. Wo ich früher noch aus Versehen und peinlich berührt auf einen Playboy in der Altpapiersammlung der Wohnsidlung gestossen bin oder allenfalls Sexkontakte im Teletext fand, steht heute auf Seite 1 im Blick das halbnackte Blick- Girl, präsentiert man den neusten Modetrend wie die Bikini-Brigde in 20min oder hat mit YouPorn eine unversiegbare Quelle für Sexvideos.
Die Schöheitsideale der heutigen Kinder basieren auf Magazinne oder Musikclips einer Sängerin/ eines Sängers und haben wenig mit nichts mit der Realität zu tun – schaffen aber einen hohen Druck.
Man jammert beiden Eltern die Ohren voll, um endlich ein eigenes Smartphone zu erhalten und hat dann auch ohne Computer immer und überall die Möglichkeit, auf YouToube Filme von Schiessereien und Schlägerreien anzuschauen. Mädchen können lernen, wie sie sich älter schminken, um ihren Traumboy zu finden, der gerne älter und erfahrener sein darf. Die Jungfräulichkeit wird verkauft oder im Suff verloren; und online halbnackte Fotos zu verschicken gehört dank “Vorbildern” schon fast zur Tagesordnung.
Wie sollen Kinder in dieser Welt ohne klare Regeln bestehen können? Wie sollen Sie mit all den impliziten und expliziten Anforderungen umgehen können, wie ein IT-Girl, ein echter Mann zu sein hat? Sie wissen es ja noch nicht besser und sollten in einem geschützten Raum ihre Grenzen austesten können. Doch wie soll dieser Raum aussehen? Bei der Entwicklung des Internets und der Technik wird es selbst für engagierte Eltern immer schwieriger mitzukommen und zu wissen/erahnen, was ihre Kinder eigentlich machen, sie zu begleiten, Gefahren, Risiken und Chancen aufzuzeigen – und wie sie sich selber schützen können.
Ganz ehrlich: Ich möchte heute kein Kind mehr sein. Aufwachsen im Sturm der Sozialen Netzwerke, mit Pornografie an jeder Ecke, in einer Welt, in der Schlägereien mit Faust und Füssen ausgetragen werden – aber auch heimtückisch im Netz, durch Cybermobbing.
Und ich wünsche mir, dass Schule, Eltern und Gesellschaft ihre Verantwortung nicht weiterhin Abschieben: Das Internet, die sozialen Medien, die Presse – das sind nicht die anderen, das sind auch wir: Wir, die wir den Schund ansehen, die Tabletts kaufen und wegsehen, wenn Magazine “unseren” Kindern weismachen, Grösse Null sei chic – und Voraussetzung, um einen Mann zu finden.